Die Altmeister haben wieder zugeschlagen. Was van Hamme und Rosinski hier abliefern, hat Klasse. Keine 08/15 Erzählung, keine Endloserie mit lieblos zusammengesetzten Versatzstücken aus bekannten Western. Vielmehr ein Oneshot, der inhaltlich, zeichnerisch und gestaltungstechnisch kaum Wünsche offen lässt.


Es ist zunächst die Geschichte eines Jungen. Wer ist er? Kann es sein, dass seine Eltern von Indianern getötet und er selbst verschleppt wurde. Ist sein Onkel der reicher Rancher? Oder ist er schlicht ein Betrüger, der es auf die hohe Prämie abgesehen hat, die der Onkel für das Auffinden des Neffen ausgelobt? Ist er vielleicht selbst nur ein ahnungsloses Opfer in den Händen eines skrupellosen Menschen, der das Geld abgreifen will?


Geschickt spielt van Hamme mit Erwartungen. Schon der Einstieg ist grandios. „Der Mann, den ich an diesem Tag töten würde, hieß van Deer.“ Unwillkürlich sucht man nach der Person, die der Killer ist, nach dem Erzähler der Geschichte. Dem Leser werden Angebote gemacht. Er sollte sich besser nicht auf seine Genrekenntnisse verlassen. Hier ist niemand das, was er zu sein scheint oder vorgibt zu sein. Van Hamme gelingt es immer wieder, den Leser in die Irre zu führen. Der Schluss ist dann auch überraschend. Aber selbst das reicht dem Autor nicht. Vielmehr gibt es noch einen Nachtrag, viele Jahre nach dem eigentlichen Ende der Geschichte, mit einer weiteren Wendung.


Subthema die knallharte Zeit einer zu Ende gehenden Epoche. Der alten Westen ist Vergangenheit. Da gibt es keinen Freund Shane. Nette, coole Outlaws? Fehlanzeige. Aufrichtige Gesetzeshüter, die dem Recht Geltung verschaffen wollen, eher nicht. Der Frühkapitalismus feiert Triumphe. Ausbeutung ist an der Tagesordnung, Selbstjustiz normal und nicht anstößig. Regulators schützen das Eigentum der Rinderbarone, indem sie Viehdiebe einfach umbringen. Geiz, Gier, Egoismen in allen Facetten sind die vorherrschende Charakterzüge. Van Hamme lässt den Erzähler lakonisch die Ereignisse schildern. Dieser hat kein Mitleid mit sich selbst. Er beschönigt nichts. Er ist Teil des Spiels. Auch er sucht sein Glück.


Das Artwork kann sich sehen lassen. Klarer, sehr feiner Strich. Detailreich. Sepiatöne, die die Geschichte „alt“ und gleichzeitig realistisch erscheinen lassen, werden nur unterbrochen durch doppelseitige farbige Zeichnungen. Im Stil von Gemälden begrenzen sie die jeweiligen Kapitel. Fortgesetzt wird dann mit einem Zeitsprung. So wird die Lebensgeschichte des Erzählers auch formal geordnet.


Abgerundet wird der Band mit Auszügen aus dem Expose, dem Skript, und ein paar Skizzen sowie einem beigefügten Druck.


Fazit:
Einer der besten Western, die ich bisher gelesen habe. Die exzellente Aufmachung und Qualität der Verarbeitung stützen den hervorragenden Gesamteindruck. Der Comic sollte in keinem Regal fehlen.