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    Mitglied Avatar von Zardoz
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    Blackbeard von Jean-Yves Delitte

    Der Anfang ist vielversprechend. Ankunft eines Segelschiffs bei Nacht. Schemenhaft neben der Themse ist ein einsam im Morast stehendes, mehrstöckiges Gebäude zu erkennen. Licht dringt aus einigen Fenstern. Im Nebel lassen sich die Umrisse der an hölzernen Galgen aufgehängten Käfige erahnen. Sie schenken den armen Sündern, die darin den letzten Rest ihres Lebens aushauchen, nur wenig Raum. Kein Platz, der zum Verweilen einlädt. Schnell wird klar, dass es sich um ein Gefängnis handelt. London, Dezember 1721. Man spürt förmlich die dunkle, düstere, kalte Atmosphäre, die von dem Ort ausgeht, nochmals unterstrichen durch die schwarzen Seiten, in die die Panels eingefasst sind. Man sieht Daniel Dafoe, der sich zusammen mit seinem Sekretär zu einem Gefangenen führen lässt. Angekettet in dem stinkenden Kerker beteuert der Unglückliche seine Unschuld und fleht den Schriftsteller an, ihn vor dem Strick zu retten. Dafoe verlangt jedoch mehr Informationen und fordert ihn auf, sich zu erinnern. Nur widerstrebend fängt der angebliche Pirat zu erzählen …


    Ein starker Einstieg. Danach ein Sprung. Frühjahr 1718. Der Jolly Roger weht im Wind. Eine andere Zeit, ein anderer Ort. Piraten haben ein Schiff gekapert und nehmen Geiseln. Die „Queen Anne’s Revenge“. Blackbeards Schiff. Der Schrecken der Karibik. Mit bürgerlichem Namen Edward Teach. Schnell entsteht der Plan, Lösegeld zu erpressen. Ein Abgesandter wird nach Port Royal auf Jamaika geschickt. Hier lebt der reiche Gutsherr Lauwers, der bereit ist, für Frau und Tochter das geforderte Gold zu zahlen. Währenddessen fällt Blackbeard ein Notizbuch mit Hinweisen auf einen vermeintlichen Schatz in die Hände. Die weitere Ereignisse führen uns dann bis zur Küste North Carolinas, wo der Schrecken der Karibik überraschend vor Charles Town auftaucht.


    Hört sich doch eigentlich ganz gut an. Wie eine klassischer Abenteuergeschichte. Pirates in the Caribbean - Fremde Gezeiten. Leider hält die Geschichte nicht ganz, was sie anfangs verspricht und die kurze Inhaltsangabe vermuten lässt. Die Story schwankt zwischen historischen Fakten und erfundenen Begebenheiten, kann sich aber nie wirklich entscheiden. Da vieles bisher ungeklärt ist im Leben von Edward Teach, hätte es sich angeboten, die Lücken kreativ zu füllen. Delitte bleibt hier aber auffallend zurückhaltend. Es muss ja nicht gleich die Suche nach dem Jungbrunnen sein. Aber etwas mehr Freude am phantasievollen Fabulieren, etwas mehr „Master und Commander“, hätte man sich schon gewünscht. Die einzelnen Handlungsstränge stehen zudem manchmal etwas uninspiriert nebeneinander. Es entsteht der Eindruck, dass da Versatzstücke abgearbeitet werden. So erfahren wir auch nicht, wer welche Motive am Ausgang der Geiselgeschichte hatte. Der vermeintliche Drahtzieher taucht gerade einmal in drei oder vier Panels als Randfigur auf. Vielleicht folgt die Auflösung noch im zweiten Teil. Sicher ist das aber nicht. Selbst die Protagonisten bleiben seltsam blass. Sie geben nicht wirklich etwas von sich preis. Gerade als Blackbeard einmal andeutungsweise ein paar Bemerkungen zu seiner Kindheit fallen lässt („Latein, Hauslehrer“), wird er schon von Delitte wieder eingefangen. Auf die Aufforderung eines Vertrauten aus seiner Mannschaft, ihm irgendwann mal seine Lebensgeschichte erzählen, lässt der Autor den Piratenkapitän nur entgegnen: „Hmm … vielleicht.“ Schade. Es bleibt der Eindruck, hier wurde eine Chance vertan. Was dem Band auch gut getan hätte, wäre ein chronologischer Abriß der historischen Ereignisse um Edward Teach, einschließlich einer kurzen Schilderung dessen, was über sein Leben bekannt ist. Vorbildlich ist dies in einem anderen maritimen Werk gelungen, dem gleichfalls im Splitter-Verlag erschienenen „USS Constitution“. Jedenfalls hätte das auch geholfen, die Handlungsweise des historisch verbürgten Piratenjägers „Benjamin Hornigold" etwas besser zu verstehen.


    Alles in allem ist die Story trotz der geschilderten Schwächen kein Ausfall. Ich habe sie mit Interesse gelesen. Langweilig ist sie nicht. Sie bedient eben nur nicht meine Erwartungshaltung an eine „große Abenteuer-/Piratengeschichte“.


    Aber hey. Kein Grund jetzt abzuschalten. Niemand kauft Delitte wegen der Storys. Was bleibt sind die immer noch unerreichten, einzigartigen maritimen Zeichnungen mit einem unglaublich hohen Wiedererkennungswert. Viele haben sich bisher daran versucht. Delitte bleibt aber der Meister in dieser Kategorie, der wahre Champion. Das Meer, die Segelschiffe - hier teilweise doppelseitig -, die karibischen Inseln sind einfach großartig dargestellt. Auch die Figuren sind nach meiner Auffassung besser getroffen als z. B. in seinem bei Panini erschienenen Mehrteiler „Das Blut der Feiglinge“. „Blackbeard“ werde ich mit Sicherheit immer mal wieder aus dem Regal holen, um die Zeichnungen zu bewundern. Der zweite Band ist noch nicht angekündigt. Dessen Cover (Entwurf?) Ist auf der Rückseite des ersten Bandes bereits abgebildet.


    Fazit: Delitte - mit all seinen Stärken und Schwächen. Für Freunde maritimer Zeichnungen führt kein Weg an ihm vorbei.
    Geändert von Zardoz (04.11.2021 um 15:54 Uhr)

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