Zugegeben, Ironie ist nicht ungefährlich. Das Grimmsche Wörterbuch drückte sich um eine Definition in seinen 33 Bänden, und was die andern schreiben, klingt eher entmutigend. Vom griechischen eironeia abgeleitet, der geheuchelten Unwissenheit, der Verstellung, soll die Ironie jener verdeckte Spott sein, mit dem man etwas dadurch zu treffen sucht, dass man es unter dem Schein der Billigung lächerlich macht; oder jener Spott, der sich hinter Ernst versteckt, um das Gegenteil dessen zu sagen, was man meint, wobei man die wirkliche Meinung aber durchblicken lässt.
Wie die Deutungen der Ironie, so schillern ihre Spielarten. Da ist die scheinheilige Pose der Unwissenheit, die Sokrates einzunehmen liebte; da ist die kleine Bosheit, die auch ein Festredner sich leisten sollte, und gerade er - wie Friedrich Dürrenmatt, als er sich 1986 in Stuttgart für seinen dritten Schiller-Preis bedankte: «Der erste fiel mir 1959 in Mannheim zu, der zweite 1961 in Zürich, und nun darf ich den dritten hier entgegennehmen müssen.» Für ihren schwebenden Spott sind Cervantes berühmt und Grimmelshausen, Sternes «Tristram Shandy» und Gogols «Tote Seelen», die Romane von Jean Paul und Thomas Mann. Heine trieb die Ironie zum permanenten Übermut, wie in seinem Kurzportrait der Stadt Göttingen: « . . . berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört dem Könige von Hannover und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut ist.»
Die engste Definition der Ironie - die, vor der Joschka Fischer offensichtlich Angst hat und Gerhard Schröder Angst hätte haben sollen - ist ihre Zuspitzung aufs klare Gegenteil des Gemeinten, wie bei Shakespeare. «Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann», lässt er den Antonius über den Mörder Cäsars sagen, viermal - und es war diese Hartnäckigkeit, die das Volk begreifen liess, was Antonius meinte: dass Brutus ein Schurke war.
Solchen Grad von Klarheit muss jeder herstellen, der Ironie einsetzen und dabei nicht auf den vordergründigen, den nur scheinbaren Sinn seiner Worte festgenagelt werden möchte. In der Bibel, in einer Regierungserklärung, in einer Zeitungsnachricht hat Ironie keinen Platz.
Wie aber steht es mit den unpolitischen Geschichten im Lokalteil oder auf der bunten Seite? Ferienfreuden im 100-Kilometer-Stau, schrieb die «Berliner Zeitung». Die Redaktion hatte also entschieden: Wir trauen unseren Lesern zu, dass sie die Ironie verstehen; verstünden sie sie nicht, so müssten wir uns das Wort Freuden versagen. Viele Zeitungen aber schliessen einen faulen Kompromiss: Sie riskieren die Ironie, entschuldigen sich jedoch dafür mit Gänsefüsschen - als eine unter vielen das «St. Galler Tagblatt» mit Überschriften wie Für ein «schweinisch» gutes Zuhause (es ging um den perfekten Schweinestall).
Das ist die trostlose Ironie, im Unterschied zur tragischen: Von der spricht man, wenn der Held auf der Bühne unter seinen Worten etwas anderes versteht als die Zuschauer, die das Ende schon kennen - wie bei Schiller, wenn Wallenstein sich am Abend vor seiner Ermordung mit den Worten verabschiedet: «Ich denke einen langen Schlaf zu tun.» «Schweinisch» aber ist so ironisch, als wenn Shakespeare seinen Antonius hätte sagen lassen: Und Brutus ist ein «ehrenwerter» Mann.
Wolf Schneider
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